Scham.
Mein Leben lang habe ich mich geschämt.
Für alles.
Dafür, dass ich meinen Eltern Sorgen bereitet habe.
Für meine Narben.
Für meine Unsportlichkeit.
Meine Beine.
Meine Träume.
Dafür, dass ich nicht in der Clique war.
Dafür, dass ich keinen Freund hatte.
Dafür, dass ich zu doof für’s Abi war.
Dafür, dass ich was anderes wollte.
Dafür, dass ich Deutsche war.
Dafür, dass ich Ostdeutsche war.
Dafür, dass ich Ja gesagt habe, obwohl ich Nein meinte.
Dafür, dass ich nicht mutiger war.
Dafür, dass ich die Zeit vergessen habe.
Dafür, dass ich nicht zum Tanzen aufgefordert wurde.
Dafür, dass ich mein Studium nicht selbst finanziert habe.
Dafür, dass ich nicht beide Studiengänge beendet habe.
Dafür, dass ich zurück gegangen bin, obwohl ich es besser wusste.
Dafür, dass ich Geld für Sinnloses ausgegeben habe.
Dafür, dass ich dachte, dass es das diesmal ist und es dann wieder nicht geklappt hat.
Dafür, dass mir das unzählige Male so gegangen ist.
Dafür, dass ich nicht gut genug war.
Dafür, dass ich mehr wollte.
Dafür, dass ich anders war.
Dafür, dass ich die Trennung wollte.
Dafür, dass meine Tochter ein Scheidungskind ist.
Dafür, dass ich keine „heile“ Familie vorzeigen kann.
Dafür, dass ich gekündigt habe.
Dafür, dass ich mich und meine Tochter in finanzielle Unsicherheit gebracht habe.
Dafür, dass ich über den Tisch gezogen worden bin.
Dafür, dass ich naiv bin.
Dafür, dass ich Löcher in den Strümpfen habe.
Dafür, dass ich Fleisch esse.
Dafür, dass ich Schulden habe.
Dafür, dass ich meinen Eltern immer noch Sorgen mache.
Was hat mir das gebracht?
Nichts.
Nichts?!
Alles.
Denn seit ich mich mit dem Gefühl des Nicht-Genug-Seins beschäftige, weiß ich, dass ich mich für Dinge schäme, die von außen als Standard festgelegt wurden, denen ich blind gefolgt bin, ohne sie zu hinterfragen. Ich habe blind meinen Anteil darin übernommen, ohne zu sehen, dass all das nichts, gar nichts mit meinem Wert, meiner Seele, meinem Kern zu tun hat.
Wofür schämen wir uns?
Dass wir nicht gut genug sind.
Für wen?
Wer bestimmt, was gut ist und was nicht?
Andere Länder, andere Sitten.
In Ecuador herrschen komplett andere Ansprüche, Schönheitsideale und Lebenseinstellungen. Völlig egal, ob ich Ost- oder Westdeutsche war. Hellhäutig, rundlich, „reich“. Alles perfekt.
In den USA wurde ich ob meiner Erfahrung aus der Wendezeit mit großen Augen angeschaut, Exotenstatus. Sehr cool. In den Niederlanden milderte das „Ost-“ in dem „deutsch“ die Vorbehalte ab und öffnet die Türen.
Ich spreche von Scham als dem Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht so gut, wie die Anderen zu sein, der Norm oder den Erwartungen nicht zu entsprechen.
Scham.
Mein Leben lang habe ich mich geschämt.
Das tue ich nicht mehr.
Wie lange war ich in dem Erklärungs- und Rechtfertigungsmodus. Vor mir selbst. Vor anderen. Wie lange habe ich für alles, versucht, die Gründe darzulegen, was ich warum gemacht habe.
Um zu beweisen, dass ich doch gut bin. Schlau genug, berechtigt genug. Dass alles seinen Sinn hatte. Dass ich es nicht besser wusste. Dass es anders gar nicht gegangen wäre.
Das ist alles Schwachsinn.
Es ist, was es ist und das ist alles, was ist.
Das Etikett, das draußen dran klebt, bestimmt unsere Wahrnehmung der Qualität.
Und doch hat es nichts mit unserem tiefen Selbst zu tun.
Ich bin.
Egal in welchem Land ich geboren wurde.
Ich bin.
Egal, ob ich Schulden habe oder nicht.
Ich bin.
Egal, ob ich mich entscheide, zu gehen oder zu bleiben.
Ich bin.
Egal welchen Abschluss oder Beruf ich habe.
Ich bin.
Wertvoll.
Kraftvoll.
Heil.
Vollkommen.
Perfekt.
All das, wofür ich mich schäme,
sind entweder Schichten, die nicht wirklich etwas mit meinem Selbst zu tun haben, sondern mit der äußeren Hülle,
die sich anpassen will,
die den Erwartungen entsprechen will,
die dazu gehören will,
die geliebt werden will,
die Anerkennung will,
die überleben will.
Oder sind Dinge, die ich getan habe, die nicht in Übereinstimmung mit meinen tiefsten Überzeugungen und Werten waren und für die ich mich immernoch selbst in den Hintern beiße.
Doch mein Wert als Mensch, als Seele bleibt davon unberührt.
Und hier ist die nächste Falle:
Ich beobachte bei mir und anderen, dass wir uns dafür schämen, uns als vollkommen zu sehen und zu beschreiben.
Wir machen uns kleiner – in dem wir all die Dinge aufzählen, die nicht so gut laufen und für die wir uns schämen.
Wir machen uns kleiner – in dem wir uns vergleichen und hinter jedem Lob, das wir erhalten oder uns sogar selbst geben, gleich ein „Aber“ setzen.
Wir machen uns kleiner – in dem wir uns nicht eingestehen, dass wir für mehr geboren sind, als nur im Mittelmaß Erwartungen zu erfüllen.
Die tödlichste aller Schamwaffen:
Wir schämen uns für unsere Träume.
Wir lassen zu, dass wir sie verstecken.
Wir lassen zu, dass sie belächelt und sogar als Unsinn abgetan werden.
Wir lassen zu, dass sie an der Realität gemessen werden, in der sie ersticken.
Wir schützen unsere Träume nicht, wir schämen uns für sie.
Sie sind zu groß.
Zu wild.
Zu bunt.
Zu unrealistisch.
Und damit schämen wir uns für unser Selbst. Für unsere Seele.
Für das in uns, wo die Träume wohnen.
Doch wir haben die Träume nicht, um sie zu verstecken.
Wir haben die Träume nicht, um sie zerreden zu lassen und von phantasielosen und ängstlichen Menschen, die in ihrer Kleingeistigkeit gefangen sind, in Schubladen stecken zu lassen.
Wir haben die Träume, um sie zu leben!
Wenn wir erkennen, dass wir vollkommen sind.
Dass wir perfekt sind.
Dann wird all das, wofür wir uns im Außen schämen, sein Drama verlieren.
Dann können Träume Realität werden, weil wir uns erlauben, sie zu teilen, ohne uns dafür zu schämen.
Es wird deswegen nicht leichter, Schulden zu haben und ich muss mich trotzdem darum kümmern, aber es macht mich nicht weniger gut, wertvoll usw.
Es fühlt sich deswegen nicht besser an, nicht in das Kleid zu passen, aber ich bin deswegen nicht weniger schön und attraktiv.
All das, wofür ich mich schäme, weil es den Erwartungen und Normen nicht entspricht, verliert seine Qual, wenn mir klar ist, dass es für meine Seele, für mein Selbst keine Norm, keine Erwartungen gibt.
Außer denen, die ich an mich habe und die nur aus mir kommen, ohne vom Außen bestimmt zu werden.
Denen muss ich folgen.
Denn darin wohnt auch meine Stärke.
Dann gehören auch Peinlichkeiten zu mir.
Dann darf ich rot werden, wenn mir etwas Blödes passiert.
Dann bin ich in jeder Situation, in jedem Lebensbereich ich selbst.
Dann wird es mich nicht in meinem Inneren erschüttern und meinem (Selbst-)Wert keinen Abbruch tun. Und wenn ich mich für eine Weile für etwas schäme, wird es mich nicht schwächen, sonder mir meine menschliche Seite bewusst machen.
Denn das sind wir alle.
Menschen.
Vollkommen.
Du bist vollkommen.
KRAFT, war das erste Wort aus der Montagsziehung vom 22.07.2019
SCHAM das zweite,
ERDVERBUNDENHEIT das dritte.
Schau gern in den Blog und das Video dazu – noch mehr Gems 😉
Viel Spaß dabei!
Und denk dran,
Es ist dein Leben. Es ist dein Design.
Gisela
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PS. Deine ganz eigene Montagsziehung kannst Du gleich hier buchen – jetzt auch als einfache Audioversion: https://giselabacke.com/impulsreading/
Oh… Da geht bei mir auch gleich das GedankenKarussell der Erinnerungen los… Danke für Deine Zeilen, Deine Gedanken, Deine Erkenntnisse… Ja, Scham hat mit außen zu tun… Und gerade schäme ich mich, wie trottelig ich sein konnte, die TreppenStufen hoch zu fallen und mich am Zeh zu verletzen… Ich lerne… Herzliche Grüße, Doreen