Versöhnung und Neugier

„…und jetzt gebt euch mal schön die Hand!“ – sagt die Mutter zu den Kindern, die sich grad auf dem Spielplatz um eine Schaufel gestritten haben.
Kennst Du dieses Szenario? Vielleicht aus dem privaten Kontext („jetzt vertragt euch mal wieder“) oder im beruflichen Umfeld („wir müssen doch als Team zusammenhalten“), wenn Konflikte schwelen und der Appell von außen kommt, sich zu versöhnen. Von dem Weltgeschehen und den Bemühungen um Frieden mal abgesehen.

Gestern habe ich Versöhnung und Neugier als die Karten für die Wochen vom 05. Und 12. Februar gezogen und finde den Anstupser, tiefer in diese Themen einzutauchen, durchaus passend für diese Zeit.

Ich glaube, das symbolische Handreichen oder auch die Umarmung, ist ein unglaublich wichtiger Aspekt im Prozess der Versöhnung, auch wenn es zunächst nicht immer freiwillig auf beiden Seiten ist. Was passiert eigentlich, wenn wir uns direkt, physisch begegnen? Wenn wir die andere Person für einen kurzen Moment spüren?
Für mich ist es blitzschneller Informationsaustausch: bin ich und ist die andere Person bereit zur Versöhnung? Was lese ich aus der Festigkeit und Länge des Händedrucks, daraus, wie schnell/ weit ich den Arm ausstrecke usw.? Ja – nein – noch nicht/ vielleicht?
UND gleichzeitig treten wir in Verbindung, bin ich in diesem Augenblick nicht nur in meinem Kopf, sondern erlebe den Moment über meine Sinne.

Wenn ich in diesem Moment neugierig und offen sein kann für die andere Person, ist, meiner Meinung nach, der Weg zur Versöhnung frei.
Doch wie kann ich neugierig sein, wenn ich beschäftigt bin mit dem, was mir angetan wurde? Wenn ich verletzt bin, wütend, mich ungerecht behandelt fühle? Wenn mein Groll sich festsetzt und gerechtfertigt erscheint? Sich das innere oder äußere Händereichen wie eine Niederlage anfühlt?

Kann ich beides zugleich denken und damit fühlen?

In meinem Erleben ist das durchaus für eine gewisse Zeit möglich, doch dann liegt es an meiner bewussten Entscheidung, in welche Richtung ich weiter gehen möchte.
Ich kann auf meiner Sicht beharren und den Groll nähren und mich auf der anderen Seite für die Möglichkeit öffnen, dass dahinter mehr steckt, als ich weiß und es vielleicht sogar zu etwas Gutem führt.
Was davon heilsam ist und zur Versöhnung beiträgt, spüre ich sofort in meinem Körper. „Füttere“ ich das eine, spüre ich Wut, Verletzung, zieht es mir die Brust und Kehle zusammen, knäult es sich im Bauch, spannt es im Nacken usw. Richte ich meine Aufmerksamkeit auf das andere, weitet sich der Blick, wird der Atem tiefer und die Schultern nähern sich dem Boden. Die Empfindungen zeigen mir jeweils an, auf welchen „Gedankenzug“ ich aufgestiegen bin, in welche Richtung dieser fährt und was dadurch (un)möglich wird.
Mit dem Bewusstsein dafür, dass ich a) nicht meine Gedanken bin, mir b) meine Emotionen anzeigen, welchen Gedanken ich gerade Glauben schenke, ich c) die Gedanken nicht kontrollieren oder steuern muss, sondern sie als das sehen kann, was sie sind – wie Schatten, die sich je nach Lichteinfall verändern. Die Crux ist, das Bewusstsein dafür zu haben und sich für das tiefere Gefühl des inneren Friedens zu entscheiden, das automatisch entsteht, wenn wir innerlich weder gegen uns noch andere kämpfen.

Wie sieht das im Alltag aus?
Ein Beispiel aus meinem Erleben: Ich war sauer über die Absage eines Treffens mit einer mir wichtigen Person und habe die Wichtigkeit unserer Beziehung und unseres gemeinsamen Engagements auf seiner Seite in Frage gestellt. Dann habe ich erfahren, dass es zum Schutze seines Sohnes nicht klappt, der neulich krankenhausreif geschlagen wurde und fürchterlich gemoppt wird. Was ist innerlich bei mir passiert? Ich bin geschmolzen und habe mich fast ein bisschen geschämt, was meine Gedanken zuvor mit Vorannahmen, Schuldzuweisung und Bewertung angerichtet haben, die ich zum Glück nicht geäußert habe, mit denen ich mich jedoch selbst verletzt habe. Und das ist ok. Es ist ok, sauer zu sein. Es ist ok, wütend und traurig zu sein. Es ist wichtig, genau das zu spüren, die Emotion an sich. Sich zu erlauben, Mensch zu sein mit Bedürfnissen und Werten und der eigenen Sicht auf die Welt. Und dann die Emotion als Hilfe zu nehmen, wieder aus dem Kopf bei sich im Herzen anzukommen, durchzufühlen und loszulassen. Und dann hinzuhören auf das, was für die andere Person wichtig ist und das ihre Weltsicht genauso wahr ist, wie die eigene – mit dem Bewusstsein, dass gleichzeitig darunter eine gemeinsame Wahrheit liegt.

Versöhnung ist der aktive Schritt für eine vertrauensvolle und positive Verbindung, die jeweils aus der inneren Größe geboren ist, vollständig Abstand nehmen zu können von Missmut, Missgunst, Neid, Feindschaft, Vorwürfen und Schuldzuweisungen, die auf sich auf (vergangene) Konflikte beziehen. Wirkliche Versöhnung ist radikal, denn sie kann nur möglich werden, wenn wir uns komplett und restlos lösen von dem, was war bzw. von dem, was wir als alleinige Wahrheit erachtet haben. Versöhnung ist kein eindimensionaler und linearer Prozess, der nach den „wenn-dann-Regeln“ spielt. Er beginnt bei uns und in uns zuerst und nicht erst, wenn die andere Person die Hand ausstreckt. Dies ist auch wahr, wenn wir versöhnlicher mit uns selbst umgehen wollen. Von innen nach außen mit Neugier.
Wie wäre es, wenn wir uns versöhnen könnten, z.B. mit Situationen, in denen wir nicht weiter wissen? Mit Unsicherheit, gefühlten Niederlagen, Entscheidungen und deren Konsequenzen, Krankheiten, sogenannten „Charakterschwächen“ (die es nicht gibt), mit dem eigenen Körper, Denk- und Reaktionsmustern (die immer ihre Geschichte und guten Grund haben/ hatten), mit der Vergangenheit, den „Fehlern“ anderer?

Unsere emotionalen Spuren, das Quäntchen Groll im Bauch, das verächtliche Zucken um die Mundwinkel zeigen uns, ob wir immernoch an den Gedanken festhalten, uns im inneren Kleinkrieg befinden oder die „Anti-Gedanken“ tatsächlich ziehen lassen können – sowohl in Bezug auf andere als auch auf uns selbst. Für mich wäre die passende Frage zum inneren Gegencheck: „Kann ich mir selbst und anderen völlig frei, im Frieden und neugierig in die Augen sehen und zuhören, auch wenn es Konflikte gibt?“
Ist die Antwort „Ja“ – großartig! Ist die Antwort „Nein“ – großartig und herzlichen Glückwunsch zu so viel Ehrlichkeit! Denn ohne Ehrlichkeit kein Vertrauen und ohne Vertrauen keine Versöhnung.

Ein paar mehr Impulse zum Thema Versöhnung auch in Verbindung mit Neugier habe ich in der Montagsziehung angesprochen, die Du Dir hier anschauen kannst:

Ich bin sehr, sehr gespannt was Du für Dich in den kommenden Tagen beobachten kannst und was sich durch die aktive (und neugierige!) Auseinandersetzung mit Versöhnung für Dich zeigt. Manchmal gibt es auch Themen, da brauche wir Hilfe beim „Durchfühlen“ gerade in Bezug auf Gedanken, die sich ihr festes „Nest“ gebaut haben und nicht einfach weiter ziehen wollen. Wenn Du Dir dafür meine Unterstützung wünschst, dann antworte einfach auf diese Mail und wir schauen, was für Dich und einen versöhnlicheren Umgang mit dem ein oder anderen Thema hilfreich ist.

Nun wünsche ich Dir eine ganz wunderbare und versöhnliche Zeit gespickt mit Neugier und Freude.
Bis zum nächsten Mal, herzliche Grüße
Gisela

P.P.S. Hier kannst Du einen kostenfreien 30-Minuten-Termin buchen, wenn Du mehr Gesprächsbedarf hast: Gisela Backe – Coaching & Design | Webseite und Online-Buchungen (simplybook.it)

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